Der Geschlechterunterschied bei Gesundheit und Risikoverhalten bleibt trotz der gesellschaftlichen Entwicklung hin zur Gleichberechtigung bestehen. Dies belegen auch die Resultate der von Sucht Schweiz durchgeführten Schweizer HBSC-Studie.
Die Geschlechtergrenzen schienen fast überwunden und das Verhalten von Mädchen und Knaben immer ähnlicher. Wenn man den Medienberichten glaubt, ist Trunkenheit bei Frauen kein Tabu mehr. Daten aus der Schweiz zeigten sogar auf, dass sich der Konsum von Alkohol und Cannabis bei Mädchen und Jungen in Zukunft angleichen würde.
Die neusten Zahlen widerlegen diese Annahme. Statt einer Angleichung treten die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen deutlich zu Tage, und dies sowohl auf internationaler als auch auf schweizerischer Ebene.
Was ihre Gesundheit betrifft, verhalten sich gemäss dem im Mai veröffentlichten internationalen HBSC-Bericht der WHO die Jungen und Mädchen aus den 39 teilnehmenden Ländern unterschiedlich. Mehr Mädchen legen ein gesundes Verhalten an den Tag, wenn es z. B. darum geht, Früchte zu essen, die Zähne zu putzen und Softdrinks nur massvoll zu konsumieren. Jungen nehmen öfter risikoreiche Verhaltensweisen an. Sie sind nahezu systematisch in der Mehrzahl, wenn es um Rauchen, Alkohol- oder Cannabiskonsum geht.
In der Schweiz zeigt sich dieser Unterschied in den Zahlen der 2010 von Sucht Schweiz durchgeführt HBSC-Studie deutlich. Die neuste Entwicklung beim Substanzkonsum belegt sogar, dass sich der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen vergrössert hat.
Diese Konsumzahlen stehen für unterschiedliche Realitäten, Sorgen und Motive, wie viele Studien dargelegt haben. Diese Studien zeigen, dass Mädchen im Vergleich zu Knaben allgemein von ihren Eltern stärker beaufsichtigt werden. Sie konsumieren eher, um mit Schwierigkeiten umzugehen (Bewältigungsmotive), sind introvertierter und stören seltener die öffentliche Ordnung, was sie für die Prävention weniger sichtbar macht. Jungen sind mehr auf Leistung und Anerkennung durch andere aus, und sie reagieren sensibler auf Gruppenzwang. Die Stärkung von Kompetenzen, mit diesem Druck umzugehen, nein zu sagen und Selbstvertrauen zu entwickeln ist ein wichtiger Präventionsansatz.
Die Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen kann die Wirksamkeit von Präventionsmassnahmen erhöhen. Das individuelle Verhalten der Jugendlichen muss innerhalb des soziokulturellen Kontextes, in dem sie aufwachsen, beachtet werden (z. B. die soziale Definition, was ein «richtiger Mann» oder eine «richtige Frau» ist), um die Weichen für eine Veränderung im Konsumverhalten richtig zu stellen.
Eine geschlechterspezifische Prävention muss daher besondere Massnahmen entwickeln, um auf die Bedürfnisse einer jeden und eines jeden eingehen zu können. Die Möglichkeit für Mädchen und Jungen, sich bei Präventionsveranstaltungen getrennt äussern zu können, ist beispielsweise ein wichtiger Schritt, der diese Unterschiede berücksichtigt, weil jede und jeder sich freier fühlt, sich vor ihresgleichen bzw. seinesgleichen mitzuteilen.
Gemäss dem aktuellen Wissensstand stellt die Integration der geschlechterspezifischen Unterschiede und ihrer soziokulturellen Wurzeln eine Herausforderung an die Präventionsfachleute, die nicht umgangen werden sollte. Eine geschlechterspezifische Prävention ist relevant, weil das Gesundheitsverhalten von Jungen und Mädchen unterschiedlich ist Mädchen und Jungen haben nicht das gleiche Konsumverhalten. Die Zahlen sprechen Bände, doch sind es die individuellen Motivationen und Bedürfnisse, denen die Präventionsfachleute besondere Aufmerksamkeit schenken sollten.